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Laufen - mein Leben
Gerd Müller aus Havelberg
   
       
 
 
   
 
TU 2015

Grenzerfahrung, Zweifel oder........"gut, dass manchmal keiner ans Telefon geht"

 

(der "Glutultra" rund um den Inselsberg - 9. Thüringenultra am 4. Juli 2015)

 

 

Ich hatte mich mit Toni Hecker aus Bremen geeinigt, dass wir diesen Lauf gemeinsam als Team "TU Trolle" als Staffel laufen wollten. Als 2er Staffel (54,2 und 46,0 km).

10 Männerstaffeln mit je zwei Läufern gingen an den Start und als Vorgriff kann ich schon sagen, dass 9 davon ins Ziel kamen!

 

Im Vorfeld verfolgte ich sehr aufmerksam den Wetterbericht und freute mich schon 10 Tage vor dem Lauf. Wie es aussah sollte mein Wetter werden! Mein Wetter - das ist kurz gesagt Wärme und Trockenheit. Bei solchen Bedingungen bin ich immer schon relativ gut gewesen, denn ich kann Wärme beim Sport gut wegstecken.

 

Besonders froh war ich darüber, da meine Vorbereitung alles andere als störungsfrei gelaufen war. Grippe, Finger OP, Fußprobleme...da hätte kaltes Wetter und Nässe gerade noch gefehlt!

 

Am Vortag war Toni zu mir nach Havelberg gekommen, hatte am Abend für uns gekocht und am nächsten Tag brachen wir bereits 6 Uhr nach Thüringen auf.

 

Nach einer reibungslosen Fahrt und einem Zwischenhalt in Gotha, erreichten wir bereits gegen 13 Uhr die Zeltwiese an der Startlinie in Fröttstädt. Natürlich waren wir fast die ersten und konnten in aller Ruhe "unseren" Platz belegen und für die, die noch kommen sollten. reservieren.

 

Unsere Zelte standen innerhalb von Minuten und nach einiger Zeit traf dann auch schon Esther aus Mannheim ein. Sie war diesmal allein gekommen - nur als Betreuerin!!!

Ihr Gatte HD konnte wegen der Arbeitsbelastung nicht und für Grobi (den Hund) wäre die Wärmebelastung wahrlich nicht gut gewesen. Er war vernünftigerweise auch zu Hause geblieben.

 

Die Rund vervollständigten dann noch Elmar Sistermann, ein starker Läufer aus Mörfelden bei Frankfurt und seine Gattin.

 

Wir bildete mit den Zelten und Autos so eine Art "Wagenburg" in deren Mitte ein Plastebecken mit Wasser für die gestressten Füße stand.

 

Es war herrliches Wetter - aber auch unglaublich heiß. Und am nächsten Tag, dem Lauftag sollte es noch heißer werden. Es wurde mit 39 Grad im Schatten "gedroht"!

 

Was würde denn dann auf den letzten 15 schattenlosen Kilometern abgehen???

 

Diese hatte ich mir ja ausgewählt. Es war ja "mein Wetter"! Ich war auch ganz schnell als Schuldiger auserkoren, denn ich hatte mir ja warmes Wetter gewünscht!

 

Wärme, stimmt - aber so etwas? Nein!   

 

Na ja, wir würden sehen.

 

In der Nacht konnte ich so gut wie gar nicht schlafen - warum auch immer. Ich war also am nächsten Morgen unglaublich müde. Später war das allerdings kein Thema mehr.

 

Später ging es zur Sache, da war kein Spielraum mehr, an so etwas überhaupt zu denken!

 

Toni lief um 5 Uhr unsere Staffel an. Die Temperaturen waren gut - unter 20 Grad. Die ersten zwei Stunden hätte man fast "lang" laufen können.

 

Doch das sollte sich bald ändern!

 

Toni lief großartig! Seine 54 Kilometer legte er in 5:21:34 h zurück. Bei diesem Streckenprofil eine ganz starke Leistung!

 

Er war dazu aber auch an sein Limit gegangen. Beim Wechsel in Floh Seligenthal war er kaum ansprechbar und ziemlich am Ende.

 

Er hatte alles für ein erfolgreiches Abschneiden unserer Staffel gegeben!

 

Bei meiner 9. TU-Teilnahme kannte ich auf der vor mir liegenden Strecke natürlich beinahe jeden Meter. Die Markierung - wie immer vorbildlich - hätte ich nicht gebraucht.

 

Ob diese Streckenkenntnis nur ein Vorteil war, wage ich heute zu bezweifeln!

11.23 Uhr zeigte die Uhr, als ich loslief und mich anschickte, die ersten 7 sehr bergigen Kilometer unter die Füße zu nehmen.

 

Inzwischen war das Thermometer ziemlich in die Höhe geklettert. Meine Füße waren noch in Ordnung und ich begann, die vor mir liegenden bedauernswerten Läufer über die vollen 100 km "einzusammeln".

 

Hoch bis km 5, also bis zum Verpflegungspunkt waren es bereits vier Läufer. Diese hatte da immerhin bereits fast 60 km hinter sich. Ich spendete jedem von ihnen ein Wort der Hochachtung. Beinahe unglaublich, was sie bereits abgeliefert hatte und noch abliefern wollten.

 

Die nicht endend wollende Strecke hinunter nach Tambach lief ich richtig vernünftig. Ich ließ es rollen, ohne Druck zu machen. Alles andere wäre fatal gewesen, was ich ja bereits erlebt hatte!

 

In Tambach empfing mich Esther mir den Worten: "Elmar ist gerade erst vor etwa drei Minuten weg".

 

Sollten wir tatsächlich die Stunde, die die Einzelläufer vor uns gestartet waren, bereits aufgeholt haben?

 

Beim Wechsel hatte unsere Staffel übrigens auf Platz 3 der 2er Männerstaffeln gelegen. Diesen Platz hatte ich bis zur Ankunft in Tambach halten können.

 

 

 

Es folgte der Anblick, der seit der Streckenänderung immer wieder für einen moralischen Niederschlag sorgt - der Blick auf die "Mauer von Tambach"!

 

Nach der Verpflegung geht es um eine Linkskurve und dann liegt sie vor einem - eine Asphaltsteigung, die scheinbar senkrecht nach oben geht. Keinen Kilometer lang, aber steil!

 

Die Luft flimmerte in der Hitze und die Sonne lag voll auf der Szenerie!

 

Die 35 Grad im Schatten waren bereits erreicht und das Thermometer stieg weiter.

 

Wie erwartet, begann nun auch meine Fußsohlen bei jedem Schritt höllisch zu brennen. Die Anforderungen an meine Willenskraft stiegen stetig.

 

Inzwischen hatten mich auch 2 Läufer überholt, die eine Startnummer trugen, die auf eine Zweierstaffel hinwies - also auch diese Motivation hatte sich in Luft aufgelöst.

Es wäre mir aber auch als irgendwie unwirklich vorgekommen, in diesem Feld den 3. Platz zu belegen!

 

Weiter, weiter - das befahl ich mir selbst immer wieder!

 

Außer den bei solchen Bedingungen auftretenden Erschöpfungszuständen stellte ich eigentlich keine ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen fest. Von den Fußsohlenschmerzen mal abgesehen - an diese habe ich mich ja fast schon gewöhnt!

 

Als es in den Berg ging, der ins Tal vor Finsterbergen führte, hatte ich Elmar ein- und dann sogar überholt. Ich rief ihm aber gleich zu, dass er mich sicher gleich wieder holen würde, da meine Fußschmerzen nun doch immer schlimmer wurden und sich eine Schwäche ankündigte.

 

Im Tal kurz vor dem Anstieg hinauf nach Finsterbergen war es so weit. Er hatte mich wieder, war vorbei und wurde nicht mehr von mir im Verlaufe des Rennens gesehen.

 

In Finsterbergen war ich fast so weit, die Sache zu beenden. Erst wollte ich aber noch versuchen, durch einen Wechsel auf die Hokas zumindest das Fußproblem in den Griff zu bekommen. Wenn das klappte, würde auch alles andere vielleicht etwas leichter!

 

Ich wollte natürlich auch Toni nicht enttäuschen. Er sollte nicht umsonst gekämpft haben!

 

Mein Vorhaben schien zu glücken - das Schmerzgefühl an den Fußsohlen ließ nach!

 

So ging es immer weiter - bis zum Verpflegungspunkt in Friedrichroda bei km 81 (für mich 27). Mir wurde plötzlich komisch, ich geriet ins Wanken und befürchtete, jeden Moment zusammenzubrechen.

 

Ich schaffte es noch bis zu einem Stuhl, der zum Glück im Schatten stand und sagte folgenden Satz: "Ruft bitte am Tretbecken (VP in 5 km). Dort warten meine Leute. Sie sollen mich abholen, da ich keinen Meter mehr laufen kann, ohne dass ich in Ohnmacht falle - ich gebe (höre) auf - meiner Gesundheit zu liebe! Ich kann nicht mehr"!

 

Er rief an - es ging aber keiner ans Telefon! Inzwischen waren rund 5 Minuten vergangen, ich hatte im Schatten gesessen, zwei Gels geschluckt und viel Cola getrunken.

 

Plötzlich hörte ich mich den Satz "Lass es sein, ich laufe noch bis zum Tretbecken" sagen und ich rannte wieder!

 

Ich begreife es jetzt noch nicht - diese kurze Temperaturabsenkung hatte zu einer Erholung geführt, die es wirklich ermöglichte, weiter zu machen.

 

Wäre einer ans Telefon gegangen, wäre das Rennen beendet gewesen!

 

Jetzt zur Erklärung des Titels dieses Berichtes. Grenzerfahrung erklärt sich von selbst, Zweifel habe ich immer noch, ob es richtig war. Habe ich ganz starken Willen bewiesen, oder habe ich mit meiner Gesundheit gespielt? Immerhin bin ich keine 36, oder 56 Jahre mehr, sondern ich nähere mich der Zahl 67!

 

Als ich das Tretbecken bei km 88 erreicht hatte, hörte ich nochmals ganz genau in mich hinein und sagte dann zum Entsetzen von Christine noch einen Satz:  "Jetzt lasse ich mir das auch nicht mehr nehmen"!

 

Natürlich hatte sie Angst um mich und meine Gesundheit! Ich sagte nur noch, dass ich meinen Körper in dieser Beziehung sehr gut kenne und schon war ich weg!

 

Ich hatte den schlimmsten Teil begonnen!

 

Das Thermometer zeigte nun 39 Grad im Schatten! Wie viele es in der prallen Sonne zwischen den Getreidefeldern waren, wollte ich gar nicht wissen. Ich vermute, dass eine 5 am Anfang der Zahl gestanden hat!

 

Ich überholte tatsächlich noch etliche vor mir liegende Läufer, die alle wirklich stehend k.o. waren und sich nur noch vorwärts schleppten.

 

Ein Hoch auf die Verlässlichkeit der Tabarzer. Wie immer stand genug Wasser in Eimern und Wannen zur Verfügung, um sich immer wieder abzukühlen oder zumindest, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu waschen!

 

Da ich noch zwei Gels in meiner Gürteltasche hatte und auch immer Cola gereicht wurde, gelang es mir sogar, mehr zu Laufen als zu Gehen. Das ging aber wirklich nur noch über den Kopf - ja nicht denken!

 

Am berühmten Schild "KM 99 - umkehren lohnt nicht" standen dann Esther und Toni, um mich zu empfangen. Als hätten sie es geahnt waren sie schon da. Erwartet hatten sie mich nämlich erst in einer halben Stunde.

 

Ich durfte ihn danach wieder erleben - den Moment des Zieleinlaufes nach einer extrem harten Belastung, den man eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätte! Wie immer und wie jedes Jahr konnte ich die letzte etwa 200 m sogar wieder richtig "Stoff geben".

 

Wer es je erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Diesen Moment muss man erleben - man kann ihn nicht beschreiben!

 

Es folgte die größte Überraschung! Die beiden Staffeln, die mich überholt hatten, waren Mix-Staffeln gewesen.

 

Ich hatte also die von Toni grandios heraus gelaufene Platzierung halten können und wir konnten und durften als Dritte aufs Podest steigen!

 

Es ist eben doch ....gut, dass manchmal keiner ans Telefon geht!

 

 

 

 

Gerd!

 
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